Frans van der Lugt SJ, 5 Jahre nach seinem Tod

Seine letzte Botschaft

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Frans van der Lugt SJ, 5 Jahre nach seinem Tod

Seine letzte Botschaft

Zwei Kugeln. Zwei. In meinen Kopf. Es ist der 7. April 2014. Jemand klopfte an die Tür von unserem Kloster in Homs. Vor Hunger war mein Blick bereits ganz verschwommen. Da stand ein Fremder, das sah ich. Verwirrt streckte ich ihm meine Hand entgegen. Ein Funke Hoffnung flammte auf. Hatte er etwas zu essen? Wer war dieser Mann? Wo kam er auf einmal her?

Bumm. Ein Schuss. Es ging sehr schnell. Es war nicht einmal genug Zeit, um ihn anzuschauen. Und dann, Bumm, schoss er noch einmal.

Ich begreife es noch immer nicht so recht.

Soll ich denn niemals mehr mit all den lieben Menschen um mich herum mitleiden können?

Soll ich keinen Trost und keine Hoffnung mehr spenden können?

Und keine Stimme mehr haben, um sie zu ermutigen…Keine Ohren, um zuzuhören…

Mein Name ist Frans van de Lugt. In Syrien nennen mich die Leute Abouna Francis. Pater Frans. Ich bin ein niederländischer Jesuit. Beinahe fünfzig Jahre habe ich in Syrien gelebt.

Und dann wurde ich erschossen.

Ich wohnte in einem Jesuitenhaus, im Herzen von Homs. Der Krieg verwüstete und zerstörte unser Viertel. Kämpfer blockierten die Zugangswege. Viele von uns starben am Hunger.

Bis zu meinem letzten Seufzer hoffte ich, dass der Hass, das Kämpfen und der Schmerz enden würden.

Doch habe ich mitten in diesem Elend auch etwas Schönes gesehen – ein Geschenk. Wir, die wir zurück blieben, wurden Brüder und Schwestern.

Ich erinnere mich noch an die Palmsonntagsfeierlichkeiten. Um uns herum fielen die Bomben, unsere Kirche lag in Trümmern. Aber wir kamen zusammen, um zu beten. Ich frug den Imam, der hier wohnte, während der Messe einen Text aus dem Koran vorzulesen. Das tat er mit voller Begeisterung. Danach gingen die Leute zur Kommunion und ich teilte die Hostien aus. Als auch die Frau des Imams nach vorne kam, ließ ich all meine dogmatischen Bedenken, die ich noch hatte, fahren.

Trotz des Hungers und der Gewalt habe ich nie daran gedacht, unsere belagerte Nachbarschaft in Homs zu verlassen. Auch nicht als viele Leute evakuiert wurden. Unser Stadtviertel ist nicht größer als ein Quadratkilometer. Und doch wohnen darin Muslime und Christen mit sehr verschiedenen Hintergründen friedlich zusammen. Wie wir hier lebten, so kannte ich Syrien. Das konnte ich nicht aufgeben.

Vor ein paar Tagen bereitete ich noch das Osterfest vor. Kannst Du das glauben, wir würden hier Ostern feiern!

Den Übergang vom Tod zum Leben feiern.

Vom Tod zum Leben.

Ich wollte den Menschen beibringen, dass das Leben aus einem dunklen Abgrund aufsteigt und dass diejenigen, die im Dunkeln leben, ein strahlendes Licht sehen…

Auch in Homs. Es gibt Hoffnung.

Und nun das…

Tot.

Als ob alles zu Ende ist.

Und doch geht es weiter.

Ja, es geht weiter.

Du fragst Dich vielleicht, warum ich das sage. Inmitten von soviel Elend. Sehe ich denn nicht, dass der Tod durch meine Adern tanzt?

Ich werde es Dir erzählen. Es hat mit einem Mann zu tun, dessen Leben ebenfalls sehr grausam endete. Er sah sein Leiden und Sterben auf sich zukommen. Das machte ihm schreckliche Angst. Und doch machte er weiter. Er suchte Menschen auf, er befreite sie. Er liebte und liebte und liebte.

Ich wollte schon mein ganzes Leben lang so sein wie dieser Jesus von Nazareth. Es begann, als ich achtzehn war. Damals hatte ich ein Mädchen, das ich liebte. Doch ich konnte nicht bei ihr bleiben. Einfach weil in mir noch eine andere Sehnsucht brannte. Ich wollte nicht nur für sie da sein, sondern für alle. Ich wollte meine Hände frei haben und meine Arme öffnen können. Um sie mit den Menschen zu füllen, die ich treffen würde. 

Mit allen Menschen: Christen, Muslimen, Ungläubigen…

Genau wie Jesus, der einfach wusste, wie man mit leeren Händen lebt. So bin ich Priester geworden.

Wenn ich nun sage, dass es weitergeht, dann sage ich das, weil ich an Gottes Liebe glaube. Es ist die Liebe, die weiter geht. Niemand muss sich entmutigen lassen.

Aber gut, es geht auch ohne mich weiter. Ich finde das noch immer etwas seltsam.

Vielleicht darf ich Dich daher etwas fragen. Sei bitte nicht böse auf meinen Mörder. Das macht den Schmerz und den Hass nur größer.

Aber trauere um die Distanz zwischen mir und dem Mann, der die Waffe hielt. Ich trauere, weil es keine Zeit gab, den Schmerz in den Tiefen seines Herzens zu erspüren. Es muss sehr groß gewesen sein. So groß, dass er in der Lage war, einen anderen zu töten.

Und wer wird nun für seine Wunden sorgen?

Ich kann es nicht mehr tun. Aber andere schon. Du schon.

Denn die Liebe geht weiter!

Es geht weiter.

Text: Rick Timmermans